Inter Homines-Gespräch 4/24:
"Weltrepublik" und Menschenrechte im Zeichen der Klimakrise
Politisch-rechtsphilosophisches Fachgespräch mit Diskussion
> zur Videoaufzeichnung
Prof. Dr. Herta Däubler-Gmelin,
Bundesjustizministerin a.D., vormals Honorarprofessorin für
Politikwissenschaft am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin
Prof. Dr. Arnd Pollmann, Professor für Ethik und Sozialphilosophie in der Sozialen Arbeit an der Alice-Salomon-Hochschule Berlin
Dr. Wolfgang Lassleben, Jurist bei der Integrationsbeauftragten des Berliner Senats
Die Philosophin und Politologin Hannah Arendt, die in ihrer Schrift „Wir Flüchtlinge“ ihre eigene Fluchterfahrung aus Nazi-Deutschland beschrieb, stand den Menschenrechten ziemlich kritisch gegenüber:
„[Man muss begreifen], dass das internationale Recht mit diesem
Gedanken [das Recht, Rechte zu haben, als das grundlegendste aller
Menschenrechte] seine gegenwärtige Sphäre überschreitet, nämlich die
Sphäre zwischenstaatlicher Abkommen und Verträge; und eine Sphäre, die
über den Nationen stünde, gibt es vorläufig nicht.“ Über siebzig Jahre
später, im globalen Zeitalter, gibt es nunmehr aber jene „Sphäre über
den Nationen“, und angesichts einer stetig sich verschärfenden Polykrise – siehe etwa den israelisch-palästinensischen Konflikt, zu dem auch Arendt sich schon geäußert hatte – und einer sich anbahnenden Klimakatastrophe scheint es dringend geboten, diese globale Sphäre auf lange Sicht auch politisch-rechtlich zu institutionalisieren.
Die Vision einer menschenrechtlich konstituierten Weltrepublik, wie sie der bekannte Rechtsphilosoph Otfried Höffe
schon vor fünfundzwanzig Jahren vorgestellt hat, bietet hierfür eine
kontrovers zu diskutierende Grundlage, bei der sich drei Leitfragen
stellen:
1. Könnten mit einer "Weltrepublik" die von Arendt beschriebenen "Aporien der Menschenrechte",
auch im Hinblick auf Klimaschutz, Asyl und Gesundheit, idealerweise aufgelöst werden?
2. Könnte eine realutopisch avisierte Globale Union möglicherweise nach dem Vorbild der
Europäischen Union entstehen, deren Grundstein 1952 von nur sechs Gründerstaaten zum Zwecke
der Kriegsvermeidung gelegt wurde und die heute 27 Mitgliedsstaaten umfasst?
3. Könnte eine von den Vereinten Nationen auszurichtende World Championship for Climate
Protection, in der Klimaschutz, Menschenrechte und die 17 UN-Nachhaltigkeitsziele in einem
KI-gestützten kompetetiven Format zusammengebracht werden, einen ersten Schritt und
Katalysator zur Realisierung der Globalen Union oder auch einer effektiven Global
Governance darstellen?
Zu diesen Leitfragen wird Wolfgang Lassleben
eine Einführung geben und anschließend die partizipative Moderation des
politisch-rechtsphilosophischen Fachgesprächs übernehmen. Lassleben ist
seit bald zwei Jahren als promovierter Jurist in der Abteilung
Integration und Migration der Berliner SenASGIVA tätig, also bei der
Integrationsbeauftragten des Berliner Senats. Zuvor war er über zwanzig
Jahre Justiziar der Stasi-Unterlagen-Beauftragten in Magdeburg (jetzt
umbenannt zur Aufarbeitungsbeauftragten Sachsen-Anhalt). Bei seiner
Beratungstätigkeit für Verfolgte der SBZ/DDR spielten auch das Recht
der Staatennachfolge sowie völkerrechtlich begründete Einschränkungen
für die Rehabilitations- und Restitutionsmöglichkeiten Betroffener eine
wichtige Rolle.
Wie steht es im Kant-Jubiläumsjahr, 300 Jahre nach dem Geburtstag des
großen Königsbergers, um die Vision eines Völkerbundes und des
Weltfriedens? Arnd Pollmann plädiert hier für eine konföderale und subsidiäre Weltinnenpolitik – also nicht global government, sondern global governance.
Pollmann ist Professor für Ethik und Sozialphilosophie in der Sozialen
Arbeit an der Alice-Salomon-Hochschule Berlin, hat sich seit vielen
Jahren auf die Philosophie der Menschenrechte spezialisiert und ist
Koautor und Mitherausgeber einschlägiger Einführungs- und
Übersichtswerke zum Thema. Zuletzt erschien von ihm im Suhrkamp-Verlag
"Menschenrechte und Menschenwürde", worin der Autor an das historisch
fragile, aber ungebrochen dringliche Erbe dieses Zusammenhangs erinnert
und dazu – nicht zuletzt in der Auseinandersetzung mit Kant – eine
umfassende philosophische Deutung und Begründung vorlegt.
Philosophische Realutopien sind notwendig, um der Politik eine
normative Orientierung zu geben. Doch sind sie auch realpolitisch
umsetzbar und durchsetzbar? Herta Däubler-Gmelin
war von 1998 bis 2002 Bundesministerin der Justiz und hat sich in
dieser Funktion unter anderem für Menschenrechte, das
Weltrechtsprinzip, das Völkerrecht, das Deutsche Institut für
Menschenrechte und den Internationalen Strafgerichtshof eingesetzt. Sie
war außerdem Professorin für Politikwissenschaft am Otto-Suhr-Institut
der Freien Universität Berlin. Als Vorsitzende des Ausschusses für
Menschenrechte und Humanitäre Hilfe im Bundestag und später im
Europarat hat sie sich stets für die Förderung von Menschenrechten
eingesetzt und engagiert sich bis heute für den rechtsstaatlichen
Dialog mit China. Zu der Initiative einer menschenrechtlich
orientierten World Championship for Climate Protection leistete sie
wesentliche Beiträge.
Das politisch-rechtsphilosophische Gespräch steht unter den Vorzeichen
eines Diktums von Hannah Arendt, welches in einem eigentümlich
emphatischen Spannungsverhältnis zu ihren kritischen Äußerungen über
die Menschenrechte steht: „[Dies] kleinste Vorhaben, die Menschenrechte
zu verwirklichen, ist gerade wegen seiner einfachen Grundsätzlichkeit
das allergrößte und allerschwerste, was Menschen sich vornehmen können.
[…] Und nur ein Volk, in Gemeinschaft mit anderen Völkern, kann dazu
beitragen, auf der von uns allen bewohnten Erde eine von uns allen
gemeinsam geschaffene und kontrollierte Menschenwelt zu konstituieren.“
Zeit: Letzte September-Woche 2024
Ort: Inter Homines, Stargarder Str. 47, 10437 Berlin
Art: Gesprächsabend mit Diskussion, Video-Aufzeichnung zur späteren Publikation
> zur Videoaufzeichnung